(Caroline von der Osten Sacken, Masterarbeit 2020)
In ihrer Arbeit geht es der Verfasserin darum, aufzuzeigen, inwiefern der vornehmlich als Porträtmaler bekannt gewordene J.F.A. Tischbein (1850-1812) einen neuen Stil entwickelte. Indem er sich von bis dahin gültigen Formeln abwandte und ganz neue Darstellungsweisen mit anderen Schwerpunkten verfolgte, bewirkte er, dass seine Porträts viel natürlicher und persönlicher wirkten. So lassen sich ganze spezielle Merkmale herausarbeiten, an denen man erkennen kann, was das Neue und Spezifische der Tischbein’schen Porträts ist. Zu diesem Zweck untersuchte von der Osten Sacken Porträts von Männern und Frauen, aber auch die Darstellungen von Familien und verglich diese mit der entsprechenden Gestaltung der Vorgängergeneration. Die Verfasserin bezog dabei auch die jeweiligen Auftraggeber und damit die jeweilige Funktion der Porträts ein (institutioneller Rahmen oder eher den privater Bereich), indem nach dem Kontext d.h. den Auftraggebern gefragt wurde.


Ein Überblick über die bisherige Literatur lässt erkennen, dass J.F.A. Tischbein bisher meist nur am Rande behandelt wurde, vor allem seine Schaffenszeit in Leipzig 1800-1812 wurde völlig zu Unrecht nicht ausreichend gewürdigt bzw. fast durchwegs ausgespart. Zum Thema Auftraggeber- und Funktionsanalyse der Porträts füllte die Verfasserin die bisherige Lücke in der Analyse des Werkes von J.F.A. Tischbein. Dazu wird der Leser vor allem in das kulturelle Leben der aufstrebenden Kaufmannsstadt Leipzig eingeführt. Die Beschreibung der Akademie, deren Direktorenposten Tischbein dort antrat, lässt schnell erkennen, dass J.F.A. Tischbein die privaten Porträtaufträge weit mehr interessierten als das Wohl und Wehe der Institution, der er vorstand. Dennoch tat er einiges für die Lehre. Doch vor allem private Porträtaufträge beschäftigten ihn und brachten ihm großen Erfolg. Dies mag der besonderen Situation geschuldet sein, die er in Leipzig antraf: Selbstbewusste, und wohlhabende Bürger gaben in Leipzig den Ton an und ließen sich in Porträts darstellen. Dies war für die damalige politische Situation eine besondere Lage, die den Erfolg Tischbeins in besonderer Weise begünstigte.
Die Befunde führten zu der Frage nach (möglichen) Kriterien für eine Neubewertung seiner Porträtkunst. Dies wird anhand von zwei Vergleichen – zum einem mit I. Mengs, zum anderen mit E.G. Haussmann – geleistet: Beider Bilder etwa für das Leipziger Rathaus werden als „Standesporträts“ oder „Amtsbilder“ bezeichnet, soll heißen, die Funktion, der Präsentationsort forderte seinen offensichtlichen Beitrag in der Ausgestaltung: Nicht so aber bei Tischbein, was hier herausgearbeitet und überzeugend dargelegt wird.
Die Verfasserin versucht zu zeigen, dass J.F.A. Tischbein, selbst wenn er Stadtrichter wiederzugeben hatte, deren Porträts in einer Reihe mit all den anderen formal adaptiert aufgehängt wurden, dennoch Blick, Gesichtsausdruck und Gestik jeweils viel individueller gestaltet wurden als bei seinen Mitbewerbern. Dies wird an verschiedenen Beispielen ausgeführt (Neumann, S. 19, Stieglitz, S. 21, Kunze, S. 24 usf.). Dabei scheint sich für J.F.A. Tischbein gelegentlich dann doch die Quadratur des Kreises ergeben zu haben: „Dieses Problem der Konkurrenz zwischen Ähnlichkeit und Schönheit löst Tischbein, indem er den Makel abbildet und damit zwar der Individualität des Dargestellten Rechnung trägt, ihn aber gleichzeitig idealisiert“ (S. 25). Vorrang der Repräsentation oder Betonung der Individualität, könnte die Spezifizierung heißen. In Folge werden dann die Vermittlung von Gemütseigenschaften betont: der Eindruck von Zurückhaltung (S. 31), von allgemeiner Schwermut (S. 32), Melancholie (S. 33). Schließlich auch „Verzicht auf Attribute“ (S. 35), eher ein „Seelenmaler“ im Sinne Sulzers. Bei der Gestaltung der Porträts der Damen greift die Verfasserin zu dem Begriff der aus der englischen Kunsttheorie abgeleiteten Empfindsamkeit. (S. 39/40).
Hinsichtlich des Themas, das die speziellen Probleme behandelt, die sich etwa aus der „Übersetzung“ von „Familienkonstellationen für die Gestaltung ergeben haben“, zeigt sich für die Verfasserin: „Die Schilderung der Umgebung, von Möbeln oder auch der Kleidung tritt zurück zugunsten der Beobachtung und Wiedergabe von Personen und ihren Beziehungen zueinander, die sich in Berührungen ausdrücken.“ (S. 53) Hinzukommt, so die Verfasserin, dass Kinder nun eine eigenständige Rolle spielen, was mit den pädagogischen Konzepten der Aufklärung begründet werden kann. (S. 55)
Die Hintergrundinformationen sind durchwegs sorgfältig und solide recherchiert. Man möchte der Verfasserin hoch anrechnen, dass sie ihre Überlegungen auf umfangreichem (praxisbasiertem) Erfahrungswissen mit den jeweiligen Objekten gründet und dieses in alle Richtungen hin zu reflektieren versteht. (Martina Sitt)